Schockvideo-Website LiveLeak macht dicht: Ein Ende des Schreckens (2024)

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Schockvideo-Website LiveLeak macht dicht: Ein Ende des Schreckens (1)

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Ein Motorradfahrer reißt sich bei einem Unfall den Finger auf, ein nackter Mann verbrennt sich an einer Hochspannungsleitung und ein Polizist schießt einen mutmaßlichen Räuber nieder: Mit verstörenden Clips wie diesen ist das britische Videoportal LiveLeak bekannt geworden. Doch nun ist Schluss mit den Schockvideos. Nach 15 Jahren haben die Betreiber der Plattform den Stecker gezogen.

Mitgründer Hayden Hewitt richtet sich an die Fans der Plattform und schreibt: »Die Welt hat sich stark verändert in den vergangenen Jahren, genau wie das Internet und wie wir Menschen.« Er bedankt sich bei seinem Team und bei den Nutzern, die ihn mit Inhalten »auf einer persönlichen Ebene fasziniert und unterhalten« haben. Warum genau das Projekt beendet wird, sagt er in seinem Beitrag nicht.

Seine Antworten beim Kurznachrichtendienst Twitter an enttäuschte Fans lassen allerdings erahnen, dass es wohl extrem anstrengend war, die Seite zu betreiben und gegen Kritiker aus aller Welt zu verteidigen. Außerdem gab es wohl einen profanen Grund für das Aus der Seite: Geld, der Betrieb von LiveLeak hat sich offenbar nicht mehr gelohnt. Hewitt jedenfalls betont, LiveLeak sei »kein Wordpress-Blog mit einem 2,99-Dollar-Hosting« gewesen.

»Gesichter des Todes« als Website

Das spenden- und werbefinanzierte Portal reihte sich bei seinem Start 2006 in eine Riege von Schock-Websites wie Rotten.com ein. Solche Seiten wirkten wie die Online-Pendants zur Filmreihe »Gesichter des Todes«, die sich Teenager in den Achtzigerjahren auf VHS-Kassetten weiterreichten.

Blutige Bilder, rohe Gewalt und Leichen: LiveLeak lebte vom Gewaltvoyeurismus der Nutzer, zeigte Unfälle unverpixelt, stellte Clips von brutalen Prügeleien online und schreckte auch vor Tötungsvideos nicht zurück. Aus Deutschland schaffte es unter anderem eine Landung von Lufthansa-Piloten in Hamburg während eines Orkans im Jahr 2008 in die LiveLeak-Charts. Jene Landung wurde damals auch auf SPIEGEL.de als »Horrorlandung« bezeichnet.

Schockvideo-Website LiveLeak macht dicht: Ein Ende des Schreckens (2)

Erstmals groß in den Fokus der Öffentlichkeit geriet LiveLeak gleich im Gründungsjahr 2006, im Zuge der Hinrichtung des irakischen Diktators Saddam Hussein. Während die meisten europäischen Medien darauf verzichteten, jene Exekution zu zeigen, war bei LiveLeak ein Video von Saddam Hussein am Galgen in voller Länge zu sehen.

Hunderttausende schauten sich den Clip der Hinrichtung an, die vermutlich mit einer Handykamera aufgezeichnet worden war, und klickten auf ein weiteres Video, das Verletzungen am Leichnam des Diktators zeigten.

»Medien neu definiert«

Während die LiveLeak-Betreiber mit dem Slogan »Medien neu definiert« stets dafür warben, die ungeschönte Realität zu zeigen, warfen Kritiker dem Portal vor, moralische Grenzen zu überschreiten. LiveLeak zeigte Videos, die klassischen Medien zu krass waren. Man hielt sich an keinen Pressekodex, der deutsche Medien zum Beispiel dazu anhält, auf die »unangemessen sensationelle Darstellung von Gewalt, Brutalität und Leid« zu verzichten, Kinder und Jugendliche vor verstörenden Bildern zu schützen und Opfer sowie Angehörige nicht zu zwingen, schockierende Ereignisse immer wieder zu durchleben.

Hayden Hewitt hatte die Radikalität seines Portals stets verteidigt. »Am Ende haben wir als Webmaster ein gewisses Maß an Verantwortung«, schrieb er 2008 in einem Blogbeitrag. »Aber letztendlich sind Erwachsene selbst dafür verantwortlich, was sie sehen wollen, und Eltern dafür, ihre Kinder zu beaufsichtigen.«

Außer für die Bilder zum Tod von Saddam Hussein war LiveLeak auch für Clips von prügelnden Kindern berüchtigt, vor allem in Großbritannien. Die BBC berichtete 2007 über Gewaltvideos, die unter anderem zeigten, wie ein Mädchen nach einem Kampf mit einer abgelösten Netzhaut ins Krankenhaus musste.

Hayden Hewitt weigert sich damals im Gegensatz zu YouTube, die Videos offline zu nehmen. »Natürlich ist das schrecklich«, sagte der LiveLeak-Mitgründer. Aber es gehe darum, eine kompromisslose Haltung einzunehmen: »Wenn sich solche Dinge in der Welt zutragen, muss man sie auch zeigen.«

Auch für die LiveLeak-Betreiber gab es Grenzen

Auch solche Zitate führten dazu, dass Rechtspopulisten und Terroristen die Seite für sich entdeckten – was das Leben der LiveLeak-Betreiber erschwerte. So entschieden sie sich im März 2008 dazu, den Anti-Islam-Film »Fitna« des niederländischen Politikers Geert Wilders online zu stellen, in dem Opferbilder von Terroranschlägen in New York und Madrid mit Koranversen in Verbindung gebracht werden. Es gab heftige Kritik und Morddrohungen gegen die Plattformbetreiber sowie deren Familien: Letztlich wurde das umstrittene Video aber nur zwei Tage offline genommen – und dann wieder hochgeladen.

Ähnlich ernst war die Lage im August 2014. Die Zugriffszahlen auf LiveLeak schnellten zu dieser Zeit nach oben, das Portal war so populär wie selten zuvor. Der Grund: Auf der Videoplattform war ein terroristisches Propagandavideo zu sehen, das die Enthauptung des Journalisten James Foley zeigte. Das Magazin »Business Insider« bezeichnete LiveLeak im Zuge dessen als »Lieblingsseite des Islamischen Staats für Enthauptungsvideos«.

Während Social-Media-Plattformen wie Facebook und YouTube das Video rasch entfernten, zögerten die LiveLeak-Betreiber. Die Sorge, dass die Terroristen weitere Geiseln töten könnten, führte jedoch schließlich dazu, dass das Team die »IS«-Clips löschte. Auch die Videos des Christchurch-Attentäters verbannte LiveLeak sechs Jahre später von der eigenen Website, nachdem ein australischer Internetanbieter den Zugriff darauf gesperrt hatte.

Selbst die Betreiber einer der wildesten Plattformen im Web kamen offenbar manchmal zur Einsicht, dass sie es übertrieben hatten.

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Abschied aus der Schmuddelecke

Trotz Zahlen von zeitweise rund 20 Millionen Nutzern pro Monat hat LiveLeak nie die Dimension des hundertfach größeren YouTubes erreicht. Und auch von einer politischen Bedeutung, wie sie WikiLeaks hat oder hatte, war LiveLeak weit entfernt. Obwohl Vlog-Kanäle wie »Yoursay« dafür gedacht waren, der Website einen politischen Anstrich zu verpassen, brachte die Plattform keine Enthüllungsvideos hervor. Die Clips galten der Unterhaltung, sie lebten vom Schockeffekt der Bilder.

Einige weniger verstörende Videos immerhin avancieren zu Viralhits. Auch SPIEGEL.de zeigte in seiner Netzschau den missglückten Wheelie eines Motorradfahrers und den schlafenden Arbeiter, der aus einer Schubkarre gekippt wurde. Mit einer Nachfolgeseite namens Itemfix wollen Hayden Hewitt und sein Team nun augenscheinlich auf genau solche Videos setzen – um die Schmuddelecke, in die LiveLeak schnell geraten war, hinter sich zu lassen.

Unter anderem mit einer Remix-Funktion für Videos und strengeren Regeln soll Itemfix nun ein Portal für Videohits werden, die sich viral im Netz verbreiten, weil man sie ohne Gewissensbisse teilen kann. Die neue Plattform sei auch nicht als LiveLeak-Abklatsch zu verstehen, betont Hewitt.

Laut dem Itemfix-Regelwerk ist es sogar verboten, Videos und Kommentare mit »gewalttätigem oder blutigem Inhalt« zu posten. Außerdem ist es nicht erlaubt, jemanden zu animieren, Eigentum zu zerstören, oder Aktivitäten zu propagieren, die zu Verletzungen oder dem Tod führen. Und auch terroristische Inhalte sind tabu.

Für die meisten Nutzer dürfte aber auch die neue Seite kein Ersatz für YouTube werden – es sei denn, sie wollen schon nach wenigen Clips auf ein brennendes Moped oder einen Postboten treffen, der eine Schaufensterscheibe zertrümmert. Oder auf eklige Spinnennester.

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